Lieber Bruder,
wenn ich ehrlich bin, kennen wir uns nicht einmal - und dennoch schreibe ich dir diesen schlechten Brief; einfach um sicher zu sein, dass du mich nicht vergisst. Du heißt Insoo Sang, wohnst in Hongdae, bist 23 Jahre alt und ein Barkeeper, der versucht, sich mit seinem Gehalt das Studium zu finanzieren, richtig? Soweit ich weiß, hast du vor dich irgendwie in die Hongik Universität zu schummeln - was aber aufgrund deiner Bemühtheit und deiner guten Noten ein leichtes sein wird. Ich bin stolz auf dich. Du hast eine lustige, offene und gleichzeitig nervtötende Art an dir, die dich dennoch irgendwie bei jedem in deiner Umgebung beliebt macht. Du strahlst vor lauter Selbstsicherheit, bist ein ausgezeichneter Koch und wenn es Etwas geben würde, das dir nicht liegt, ist das vielleicht zwei Wochen so; du änderst es. Bis auf deine Beziehung zu mir, die irgendwie abgebröckelt ist; aber ich habe gehört, du suchst nach mir. Das solltest du nicht tun; auch wenn ich es wertschätzen würde, mit dir ein langes und ausführliches Gespräch zu führen. Immerhin sind wir immer noch Brüder, und ich weiß, dass du gegen mich und meine Taten keinen Groll hegst. Dementsprechend muss ich dich aber noch fragen: Würdest du mir auch noch verzeihen, wenn ich dir eröffnen würde, dass ich nicht so unschuldig bin wie du mich vor allen Leuten hinstellst? Immerhin verteidigst du mich; obwohl sie alle die eigentliche Wahrheit wissen.

Lieber Jaewon,
ein Wunder, dass du mir nicht an die Kehle willst. Ich glaube, das was du getan hast, kann ich dir niemals zurück zahlen. Wegen mir sitzt du jetzt also hinter Gittern und wirst für immer als Mörder gebrandmarkt sein, obwohl du eigentlich Niemandem etwas tuen könntest. Dafür bist du zu freundlich und zu naiv - was wiederum nicht heißt, dass du nicht schlau bist. Sag mal, erinnerst du dich noch als du mir damals immer wieder versucht hast, Mathematik zu erklären? Ich schätze deine Anstrengung wert. Es tut mir Leid, dass ich dich nicht besuchen kann, aber es wäre einfach viel zu gefährlich mich in diesem Gefängnis herum zu treiben; wer weiß, welche Schlägerei ich anzetteln würde, und wie ich dir schaden könnte. Ob das kleine Licht, das sich du nennt, schon erloschen ist? Deine Präsenz kam mir nämlich immer wie eine warme, liebende vor - und jetzt habe ich nicht mehr als ein klaffendes Loch in meiner Seite und einen Hund, der mich entweder anbellt oder tröstet, wenn ich traurig bin. Dennoch ist mir zu Ohren gekommen, dass du dich bereits aus dem Gefängnis davon gestohlen hast, deswegen schicke ich diesen Brief an jene Adresse, die du sicher als Erstes aufsuchen wirst. Ich weiß nicht wie oder warum, aber wenn du soweit bist, warum ziehst du nicht wieder in "unsere" Wohnung? Ich würde mich freuen - und ich glaube, Bing würde auch gerne deine Bekanntschaft machen. Ach ja, noch Etwas - wie wäre es, wenn du zu den Ghrima-Saka kommst? Ich fühle mich dort fürchterlich einsam.